„„Menschen sind Resonanzwesen. Das Gefühl gesehen und anerkannt zu werden ist so wichtig, wie kaum etwas anderes“, hat der Soziologe Hartmut Rosa gesagt. Das erklärt einiges, wenn nicht sogar vieles. Beispielsweise das Phänomen, dass wir ein Gespräch als gut empfinden und das Gegenüber als intelligent erachten, wenn unsere Meinungen und Ansichten in möglichst vielen Punkten übereinstimmen. Wir mögen generell Menschen, die so aussehen, so leben, sich so verhalten, wie wir es tun. Der andere ist ein Spiegel meiner selbst und zwar nicht nur in der engsten aller Beziehungen, der als Paar, sondern auch in den anderen außen herum. Und so umgibt man sich auch mit solchen. Im Studium und im Beruf kennengelernt ist man eines Tages unbemerkt von seinesgleichen umgeben. Das ist nicht unbedingt so gewollt. Es passiert einfach mit der Zeit. Und fällt nicht auf, weil das sicheres Terrain ist. Die Mediziner tummeln sich mit den Medizinern, die Juristen mit den Juristen. Die Banker mit den Bankern. Auch die Werber bleiben gerne unter sich. Wenn irgendwann Kinder kommen, kommt man mit anderen Berufgsruppen in Kontakt, aber in den Gesprächen geht es dann wieder um das Einende: Die Kinder. Das, was entzweit, wird gemieden.
Mir geht es nicht anders. Man könnte es auch als Eppendorf-Syndrom bezeichnen. In den Altbauwohnungen mit Stuckdecke, den Designer-Lofts mit den obligatorischen Eames Chairs reden wir über ähnliche Bücher, hören die gleichen Bands und pflegen eine einheitliche Sicht auf die Welt. Die Nuancen, in denen wir uns unterscheiden reichen für hitzige Diskussionen am Abend mit viel Rotwein. Das eigene Leben kann kein falsches und nur richtig sein, wenn eben so viele es auf die selbe Art und Weise angehen.
Die wirkliche Horizonterweiterung findet statt, wenn wir uns mit dem auseinandersetzen, was uns widerstrebt, was wir nicht so sehen, so sehen wollen, was nicht in unser Weltbild passt. Wenn wir anderen begegnen, die Dinge völlig anders angehen, betrachten und bewerten. Nur ist aus oben genannten Gründen der Austausch mit denselbigen eher selten.
Der Tag ist hell, ich schreibe dir ist nicht nur ein wunderschöner Titel eines guten Buches, sondern handelt genau von einem solchen Austausch. Er stammt aus einem Briefwechsel zwischen zweien, die aus ganz unterschiedlichen Welten kamen, deren Schnittmengen so gering, die eine so große Distanz zu überwinden hatten und es dennoch taten.
Die eine, neunzehn Jahre alt, politisch links gerichtet, Studentin. Der andere 52, Vorstand einer Großbank. Sie schrieben sich über Jahre. Sie trafen sich und führten lange Gespräche, erzählten aus ihrem jeweiligen Leben, teilten ihre Ansichten und Gedanken. Sie waren befreundet. Er nannte sie seine „geistige Tankstelle“. Er wird ermordet und Jahre später ruft sie die Erinnerung an diese Freundschaft wach. Es ist ein Buch über verschiedene Welten, die sich treffen. Über deutsche Zeitgeschichte.
Auch die Geschichte der beiden könnte falsch verstanden werden. In ein Muster gepresst, Anlass sein für Missverständnisse, weil es nicht in den Rahmen passt, dass zwei Menschen vor allem die geistige Verbindung suchen und dass diese Altersunterschiede überwinden kann, dass im wirklichen geistigen Austausch und im Suchen nach Antworten immer auch eine andere Form der Anziehung entsteht, die aber nicht zwingend überhand nehmen muss.
„Schreib mir“, sagt der Banker immer wieder. Und sie schreiben sich, sie treffen sich, sie lassen sich in Gesprächen und Briefen aufeinander ein, weil sie das Verbindende sehen, dass sich nicht in den äußerlichen Umständen abzeichnet, sondern im Inneren. Sie suchen nicht die Bestätigung ihrer Weltsicht, sondern sehen im Anderssein eine Bereicherung, eine Erweiterung ihrer Welt. Der Horizont öffnet sich.
Das Buch ist autobiographisch und auch wieder nicht. Das ist ganz nebensächlich. Es basiert auf der Freundschaft zwischen der Autorin Tanja Langer, die damals dem Vorstand der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen begegnete, mit dem sie sich über Jahre schrieb, mit dem sie lange telefonierte, sich traf. Für das Buch spielt dieser Hintergrund keine Rolle. Bis auf die Tatsache, dass es schön zu wissen ist, dass eine solche Beziehung nicht nur Fiktion, sondern möglich ist. Es macht wach, neugierig. Es fordert heraus auf andere zuzugehen. Es lässt mich noch mehr Achtung haben vor Alfred Herrhausen, der ein Manager war, wie ich sie mir heute wünschen würde.
Es ist ein ganz wunderbares Buch. Ein leichtes, das auf eine sanfte Art und Weise den eigenen Blick auf die Welt und das drumherum verändert. Eines, das so gar nicht ist wie alle anderen, weil es auch erzählerisch zwischen den Ebenen springt, in keine Form passt und gerade deshalb gelesen werden sollte. Eines, das viel Resonanz ausgelöst hat in mir selbst.